Im Gedenken

Edgar Guhde (1936 – 2017), Kuratoriumsvorsitzender der Hans-Rönn- Stiftung 2010 – 2017

Im Jahr 2018 verlieh die Düsseldorfer Ratsfraktion Tierschutz FREIE WÄHLER Edgar Guhde posthum einen Tierschutzpreis; die Laudatio hielt Elke Mertens.

»Ich möchte mit einem Zitat von Edgar Guhde selbst beginnen, das seine Art zu leben und politisch zu handeln in einem knappen Satz zusammenfasst:

„Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut oder zulässt.“

Seit 1983 lebte Edgar Guhde in Düsseldorf und war bis zu seinem Lebensende in Düsseldorf und darüber hinaus als Naturschützer, Umweltschützer und Tierrechtler unermüdlich aktiv. Dabei spielte es für ihn keine Rolle, ob er am Schreibtisch vom Computer aus agierte, oder bei Wind und Wetter am Info-Stand oder bei Demos Flugblätter verteilte. Edgar Guhde konnte brillante Fachartikel zu den verschiedensten Problemfeldern des Umweltschutzes und des Tierschutzes bzw. der Tierrechte verfassen, er war Dozent für politische Erwachsenenbildung, er schrieb Bücher, und war sich doch nicht zu schade, im Hofgarten und anderen Parks tierliebe Menschen zu ermahnen, dass „Entenbrot der Enten Tod“ sei, um ihnen dann eine Broschüre in die Hand zu drücken, die von den Entenfütterern leider nicht immer dankbar angenommen wurde.

Viele in der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung haben ihn von der Düsseldorfer „streetworker“-Seite her kennengelernt, als Fels in der Brandung selbst bei Diskussionen mit den aggressivsten Befürwortern und Befürworterinnen des Pelztragens, des Anti-Veganismus, der Jagd, des Angelns, von Tierversuchen oder Zirkusbesuchen.

Edgar Guhde, der schon als Kind sehr sensibel gegenüber Tierleid war, engagierte sich zunächst für den Schutz von Natur und Umwelt. Die turbulenten Zeiten des Urknalls der westdeutschen Umweltpolitik gestaltete er aktiv mit. In den 1970er und 1980er Jahren war Edgar Guhde intellektueller und politischer Wegbegleiter Herbert Gruhls, der 1975 den Bestseller ‚Ein Planet wird geplündert‘ veröffentlichte, eine schonungslose Darstellung der Zerstörungspolitik gegenüber der Natur. Mit diesem Buch wurde Herbert Gruhl zur zentralen Figur der sich formierenden Umweltbewegung und gründete 1978 die ‚Grüne Aktion Zukunft‘, die sich 1979 mit der entstehenden Partei der GRÜNEN zusammen schloss. Als 1980 in Siegen-Wittgenstein der erste grüne Kreisverband gegründet wurde, war Edgar Guhde dessen erster Sprecher. Allerdings trennten sich Gruhl und Guhde 1981 wieder von den GRÜNEN, die ihnen politisch zu sehr nach links gedriftet waren, und arbeiteten in der noch bestehenden ‚Grünen Aktion Zukunft weiter, in der Edgar Guhde stellvertretender Bundesvorsitzender wurde. 1982 verband sich die GAZ mit anderen Öko-Gruppierungen zur „Ökologisch-Demokratischen Partei“ (ÖDP), in der sich Edgar Guhde bis 1998 politisch engagierte – so war er unter anderem von 1983 bis 1998 Mitglied des Kreisvorstands der ÖDP Düsseldorf, er war Redakteur der Zeitschrift ÖkologiePolitik und Mitarbeiter der ÖDP-Bundesgeschäftsstelle in Bonn.

Die deutsche Umweltbewegung ist untrennbar mit dem Namen Edgar Guhde verbunden. 1984 veröffentlichte Edgar Guhde sein bekanntestes Buch ‚Natur und Gesellschaft‘, das an Aktualität nichts verloren hat. Es ist ein Lehrbuch für die politische Erwachsenenbildung, das in ökologisches Denken und Handeln einführt, um ökologisches Bewusstsein zu fördern. Herbert Gruhl schrieb im Vorwort zu ‚Natur und Gesellschaft‘:

Was da bisher in einigen westlichen Ländern in Gang kam, ist eine zaghafte ‚Umweltpolitik‘, noch lange keine ökologische Politik. Um dahin zu kommen, werden die Menschen noch sehr viel lernen müssen. Das Material dazu ist in diesem Lehrbuch aufbereitet. Wenden wir es an! Jeder einzelne wird daraufhin sein Verhalten ändern müssen. Aber erst die folgende Durchsetzung einer neuen Politik wird die Gattung Mensch vor der Selbstausrottung bewahren, die sie zur Zeit in kollektiver Unwissenheit immer noch betreibt.“

 Das war 1984. Damals ahnte noch keiner etwas von Donald Trump …

In den vergangenen 25 Jahren wurde die Thematik der Tierrechte für Edgar Guhde immer wichtiger, und beim Verein ‚Politischer Arbeitskreis für Tierrechte in Europa‘ (PAKT) fand er seine geistige Heimat. PAKT war 1990 in Bonn zunächst als informeller Arbeitskreis gegründet worden, um die Zusammenarbeit zwischen Tierschützern und Tierrechtlern zu fördern. Edgar Guhde stimmte völlig damit überein, denn auch er war immer bestrebt, Verbindungen zwischen einzelnen Aktivisten, Gruppen oder Vereinen herzustellen und bei Unstimmigkeiten zu vermitteln. Eine Passage aus einem seiner Lieblingstexte, geschrieben von Dr. Wolfgang Schindler, verdeutlicht das – es geht um die Art, wie man in der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung mit einander umgehen sollte:

Respektlose, scharfe Kritik innerhalb der Tierrechtsbewegung oder des Tierschutzes –  an wem auch immer – kann nur ganz ausnahmsweise, z.B. als Reaktion auf einen äquivalenten Angriff, entschuldigt sein. Ob man jemanden ausgrenzt, hängt von individuell gesetzten, sehr unterschiedlichen Kriterien ab. … Man sollte aber bedenken, dass es in jedem Fall zu wenige Menschen gibt, die sich für die Belange der Tiere, einschließlich ihrer Rechte, engagieren. Daraus folgt, dass man im Interesse unserer gemeinsamen Ziele alles vermeiden sollte, was zur Demotivation anderer führt, auch wenn die Meinungen in vielen Bereichen nicht übereinstimmen. Mit Kritik ist daher behutsam umzugehen. Angriffe auf die Motive, also die der Tierschutzarbeit zugrundeliegenden Überzeugungen anderer, sind dabei besonders schädlich und wirken nicht nur demotivierend auf die Aktiven, sondern auch abstoßend auf potentiell, d.h. künftig engagierte Menschen.

Diese Passage stammt aus einem Text, den Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Schindler, langjähriger Bundesvorsitzender von PAKT, 2012 verfasst hat.

Aus dem informellen Arbeitskreis für Tierrechte wurde dann ein eingetragener Verein mit dem Ziel, die Rechtsstellung der weitgehend rechtlosen Tiere zu stärken. Unter der Leitung von PAKT-Gründer Wilfrid Jores, in enger Zusammenarbeit mit Edgar Guhde, fanden Fachtagungen zu Themen statt wie Gentechnik, Tiertransporte, Schlachten, Zoo, Zirkus, Zoohandel oder Tierschutzunterricht. Im Jahr 2000 übernahm Edgar Guhde den Vorsitz des Politischen Arbeitskreises für Tierrechte in Europa, und in dieser Position leitete er bis 2012 nicht nur die PAKT-Geschäftsstelle im Umweltzentrum Düsseldorf, sondern schrieb auch viele dezidierte Stellungnahmen und Fachartikel zu Tierschutz- und Tierrechts-problemen, die Sie heute noch auf der PAKT-Homepage nachlesen können. Zwei Beispiele dafür, wo PAKT sehr aktiv gewesen ist, sind die langjährigen Vorbereitungen für Tierschutz in die Verfassung oder für das Verbandsklagerecht.

Edgar Guhdes Engagement für Tierschutz und Tierrechte zeigte sich auch darin, dass er bei zwei Stiftungen den Vorsitz des Kuratoriums übernommen hatte: bei der Fincke-Stiftung und bei der Düsseldorfer »Rönn-Stiftung – Menschen für Tiere«. Von 2010 bis zu seinem Tod 2017 war er Kuratoriumsvorsitzender der Rönn-Stiftung, deren Arbeit ihm persönlich sehr am Herzen lag. Die Rönn-Stiftung wurde 1999 vom Ehepaar Hans und Ilse Rönn in Düsseldorf gegründet und vergibt seitdem jedes Jahr Geldförderungen an Personen oder Vereine, die sich lokal, national oder international im karitativen Tierschutz und/oder für Tierrechte einsetzen.

Warum hat sich Edgar Guhde jahrzehntelang so uneigennützig engagiert? Die Antwort liegt in seiner beeindruckenden Biographie:

An seinem 81. Geburtstag erzählte er mir, dass sein Vater ein wohlhabender Kaufmann gewesen war, der mit Frau und Kind in einer Villa in Berlin wohnte, gerne importierte amerikanische Autos fuhr und immer die neuesten technischen Errungenschaften wie Kühlschrank oder Waschmaschine kaufte. Die Guhdes hatten alles. Aus Edgar Guhde hätte also durchaus ein verwöhnter, konsumorientierter Erwachsener werden können und nicht der selbstlose, äußerst bescheidene, bis zum Lebensende unermüdliche Streiter für Natur, Umweltschutz und die Rechte der Tiere, als den wir ihn kennen und schätzen gelernt haben.

Edgars Vater war nicht nur wohlhabend, sondern auch ein überzeugter Kommunist, der seinen Sohn schon früh mitnahm, um Flugblätter zu verteilen. Im geteilten Berlin nach 1945 erfuhr Edgar, was es hieß, in der Westhälfte Berlins kommunistische Flugblätter zu verteilen: Ablehnung bis zum blanken Hass schlugen ihm und den Genossen entgegen. Insofern wurde Edgar damals schon bestens darauf vorbereitet, womit zu rechnen ist, wenn man in Düsseldorf in der Fußgängerzone über die unterschiedlichsten Formen alltäglicher Tierquälereien informiert. Schrien die West-Berliner den Kommunisten damals zu „Dann geht doch rüber!“, bekommen Tierschützer und Tierrechtler heute zu hören: „Geht arbeiten!“, „Kümmert euch lieber um Menschen!“

Eine Passage aus einem autobiographischen Text, den Edgar Guhde 2007 schrieb, verdeutlicht, was diesen hochsensiblen Menschen zeitlebens prägte:

Ein Vorort im Norden Berlins: Frühjahr 1945. Auf der Reichsstraße 96 nicht enden wollende Flüchtlingstrecks, oft mit ausgemergelten Pferden vor den überfüllten Elends-Wagen. Als Neunjähriger sah ich mir das oft mit an, denn wir wohnten ganz in der Nähe. Bei all dem Schrecklichen der Kriegs- und Nachkriegszeit hat sich mir der Anblick dieser Pferde (von denen im 2. Weltkrieg etwa viereinhalb Millionen (!) allein auf deutscher Seite an den Fronten schwer verletzt umkamen), besonders eingeprägt und bedrückt. Einmal schlug ein Mann mit den Fäusten auf das Maul eines stehen gebliebenen Pferdes ein. Es brach zusammen. Der Mann prügelte weiter, woraufhin ich den nahegelegenen Schlachter herbeiholte, der dem Tier ein, wie ich meinte, kürzeres Sterben verschaffen sollte. Das geschah, aber hinsehen vermochte ich nicht. Auch der Anblick liegen gebliebener Pferdekadaver … prägte sich mir dauerhaft ein.“

 Furchtbar war es auch für den kleinen Edgar, in verlassenen Häusern verhungerte Haustiere vorzufinden, umherirrenden verletzten Tieren nicht helfen zu können und miterleben zu müssen, wie ein Terrier, der ihm zugelaufen war, von einem russischen Militärlaster überfahren wurde und in seinen Armen starb. 2007 bekannte er:

 Der Gram, die Niedergeschlagenheit, die ich damals empfand, haben mich im Unterbewusstsein bis heute nicht verlassen“.

 Auch das Elend der sogenannten Nutztiere berührte Edgar schon als Kind: Schweine und Kühe in feuchten, engen, dunklen Verliesen mit verdreckten Fenstern, zur Bewegungslosigkeit verdammte Kaninchen in den Stallboxen der Nachbarschaft. Der kleine Edgar fragte sich, warum die Tiere von den Menschen so ausgenutzt und herablassend behandelt werden. Die meisten Erwachsenen verstanden Edgars Kummer über das triste, unfreie Dasein der sogenannten Heim- und Nutztiere nicht, sodass er selbst das Fazit zog (2007):

 „Ich glaube, dass diese und ähnliche Erlebnisse wesentlich zu meiner melancholischen Grundstimmung und zum skeptischen, illusionslosen Menschenbild beitrugen. Sind Tierrechte nicht auch ein Menschenrecht?“

Sein illusionsloses Menschenbild wurde sicherlich auch dadurch geprägt, dass er 1957 in der DDR zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, weil er seiner Handlungsmaxime gefolgt war, dass man nicht nur für das verantwortlich ist, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut oder zulässt. Als 21jähriger Politikstudent war Edgar Guhde in der DDR als Bürgerrechtler aktiv, hatte aber immer auch die Tierquälereien im Blick, die im realen Sozialismus bei Tierhaltungen auf dem Land, in den Schlachthäusern oder bei Tierversuchen an der Tagesordnung waren. Deshalb verfasste er 1957 einen regimekritischen Text in drei Exemplaren, in dem er nicht nur einen demokratischen und rechtsstaatlichen Sozialismus in der DDR forderte, sondern auch ein Tierschutzgesetz. Ulbrichts SED-Diktatur schlug umgehend zurück, wie Edgar 2007 lakonisch anmerkte:

Im Geheimverfahren wurde ich dafür zu neun Jahren Zuchthaus wegen „Untergrabung der Staatsordnung“ verurteilt. Das Eintreten für den Tierschutz wurde mir als „Wirtschaftssabotage“ ausgelegt.“

Von Dezember 1957 bis März 1963 saß Edgar Guhde als politischer Häftling im Zuchthaus Brandenburg-Görden, in dem vorwiegend Mörder eingesperrt wurden, aber auch tatsächliche und vermeintliche Regimekritiker. Diese Zusammenlegung war sicherlich kein Zufall. Mehrere Jahre seiner Haftzeit war Edgar, der intellektuelle Feingeist, in einer winzigen Zelle in Isolationshaft eingesperrt. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, jahrelang auf engstem Raum eingesperrt und rechtlos und schutzlos der Willkür der Stärkeren ausgeliefert zu sein. Dass gerade er sich nicht nur für Menschenrechte, sondern explizit auch für Tierrechte engagiert hat, ist also nicht verwunderlich.

Es gäbe noch sehr viel mehr über den Bibliothekar, Diplom-Politologen, Autor, Dozenten, ÖDP-Politiker und Tierrechtler Edgar Guhde zu berichten, der vor 11 Monaten gestorben ist. Ich möchte mit einem Goethe-Zitat schließen, das mir Edgar – zur Verwunderung der Passanten – laut im Essener Hauptbahnhof vortrug, als wir vor einigen Jahren mal wieder auf dem Weg zu einem Vernetzungstreffen von Tierrechtsgruppen waren:

„Wer Tiere quält, ist unbeseelt, und Gottes guter Geist ihm fehlt,

und sollte noch so vornehm drein er schaun,

man sollte niemals ihm vertraun.“

In diesem Sinne bedanke ich mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und für den Tierschutz-Preis an den unvergessenen Edgar Guhde!« (Januar 2017)

 

Monika Thau (1955 – 2012), Vorstandvorsitzende der Hans-Rönn-Stiftung 2002 – 2012

Unsere jung gebliebene Vorstandsvorsitzende und Schatzmeisterin Monika Thau trugen wir im Dezember 2012 in Düsseldorf zu Grabe. Monika Thau war die bewahrende und bewegende Kraft unserer Stiftung. Auch als Mensch wird Monika Thau uns in ihrer lebendigen, offenen, immer konstruktiven, bescheidenen, uns immer wieder motivierenden Art fehlen. Ebenso mit ihrem visionären Realismus für eine Erde ohne von Menschen verursachtes Tierleid.